Es ist und bleibt ein Skandal von historischem Ausmaß: Die Wildgrafen von Dhaun haben beim Bau ihres Schlosses im 12. Jahrhundert gravierende Sicherheitsvorschriften missachtet. Das altehrwürdige Gemäuer ist jetzt offiziell ein Ort, der zwar über Jahrhunderte Wind, Wetter und wechselnden politischen Systemen trotzte – nur, um im Jahr 2025 an der deutschen Bürokratie mit allem Regelwerk und Vorschriften zu scheitern. Vor über 800 Jahren erbaut, steht es noch immer auf seinem Felsen. Beeindruckend, irgendwie. Aber leider: nicht normgerecht. Die alten Wildgrafen, damals wahrscheinlich mehr mit Verteidigung als mit Absturzsicherung beschäftigt, hatten bei ihrem Mauerbau auf etwas so Unzeitgemäßes wie gesunden Menschenverstand und Überblick gesetzt. Was ihnen heute zum Verhängnis wird. „Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ’ne kleine DIN-Norm…“
Nun fordert der Denkmalschutz tatsächlich etwas, das Deutschland in seiner sicherheitsliebenden Gründlichkeit besonders gern hat: ein Geländer. Und zwar nicht irgendein Geländer – sondern ein DIN-zertifiziertes, 1,10 Meter hohes Symbol unserer tief verwurzelten Angst, dass irgendwann, irgendwo, irgendjemand herunterfallen könnte. In der nächsten Sitzung des Zweckverbands, am morgigen 29. August um 15 Uhr im Sitzungssaal der Verbandsgemeinde, steht das Thema erneut auf der Tagesordnung: die Verkehrssicherungspflicht. Werden dort konkrete Informationen geliefert? Wie viele hundert Meter Geländer werden benötigt? Soll es vor der Mauer verlaufen – oder oben aufgesetzt werden? Vermutlich davor, fest im Boden verankert, mit zwei oder drei Querstreben oberhalb der Brüstung – und damit eine metallene Erweiterung des Mauerwerks. Und wie wird das Ganze aussehen? Edelstahl? Verzinkt? Vielleicht sogar mit LED-Beleuchtung? Ästhetisch ist das alles zumindest fragwürdig.
Aber wenn es der Sicherheit dient – bitte sehr. Merkwürdig nur: In den vergangenen 800 Jahren war das offenbar nie ein Problem. Das Ganze wäre beinahe lustig, wenn es nicht so traurig wäre. Denn der Aufwand – von vielleicht hunderte Meter Geländer – ist nicht nur teuer, er ist auch ein Eingriff. In die Substanz, in die Wirkung, in den Charakter des Ortes. Und es bleibt ein schaler Nachgeschmack: Haben wir verlernt, uns mit durch ein altes Gemäuer zu bewegen? Vielleicht brauchen wir bald auch Sicherheitswesten im Schloss. Helmpflicht und Sicherheitsschuhe wegen Steinschlaggefahr? Oder eine digitale App, die uns bei jedem Schritt warnt: „Achtung, ungesicherte Historie voraus!“



Hätte es nicht ein etwas größerer Hinweis, das Betreten der Anlage geschehe auf eigene Gefahr, getan? Ist die Allgemeinheit verpflichtet gegen a l l e Eventualitäten abzusichern? Die Menschen waren damals kleiner, wie sich an einigen Durchgängen zeigt. Hoffentlich müssen diese nicht auch noch angepasst werden; man könnte sich ja heutzutage den Kopf anstossen.
Es gibt noch die DIN18065 Norm. Treppenstufen müssen eine gewisse Höhe und Länge haben. Plus passendes Geländer. Wird noch teuerer.