Das Wort zum Kerbe-Sonntag: Zwischen Zuckerwatte und Zeitenwandel – die Kirner Kerb einst und heute

Ach, die Kirner Kerb! Früher war sie das Woodstock des Nahetals und heute? Der Trubel hat sich gegenüber den Hochzeiten zur Light-Version entwickelt. Ein nostalgischer Rundgang am Samstag versetzt mich zurück in die frühen 80er – jene Zeit, in der man das Jahr noch in „vor der Kerb“ und „nach der Kerb“ unterteilte. Der Countdown begann gefühlt im Februar. Man sparte, man plante, man polierte den Moped-Tankdeckel – man lebte für drei Tage Ausnahmezustand in Kirn. Damals: ein riesiges Festzelt, dazu das legendäre Disco-Zelt (mit Lichtorgel!), das Schwarzwaldhaus wie aus einer kulinarischen VIP-Märchenwelt, Beckers Bratwurststand mit Biergarten – und zwei Autoscooter! Zwei! Wer dort nicht mindestens einmal mit dem Ex (oder dem nächsten Ex) kollidierte, war eigentlich gar nicht richtig dabei. Die Kyrau war keine Schule, sondern heiliger Fußballrasen, auf dem der VfR seine Kerbe-Oberliga-Spiel vor tausenden Zuschauern austrug – und drumherum: Autos, Menschen, der Duft von Zuckerwatte und Adrenalin. Es war herrlich.

Heute? Nun ja – vieles hat sich verändert. Anders eben! Die großen Festzelte gehören längst der Vergangenheit an, wie Schulterpolster und Walkmans. Stattdessen gibt’s seit Jahren einen Biergarten – stilvoll, ja, etwas reduzierter, aber immer noch mit Atmosphäre. Die Fahrgeschäfte sind weniger geworden, aber man fährt immerhin noch. Und das mit unverändertem Herzblut. Die Gründe? Klar: Zeiten ändern sich. Die Beschicker kämpfen mit steigenden Kosten, wachsender Vorsicht, dem Zeitgeist und der Konkurrenz durch Netflix & Co. Wo früher die Kerb fast von selbst lief – mit eingebauter Lizenz zum Geld drucken – braucht es heute betriebswirtschaftliches Fingerspitzengefühl, Organisationstalent und viel Leidenschaft. Dass trotzdem viele Schausteller Kirn die Treue halten, ist kein Zufall – es gibt definitiv schlechtere Orte. Überdies, bei den Gästen sitzt das Geld nicht mehr so locker. Ausgiebig Kerb zu halten kostet richtig, richtig Kohle.

Und trotzdem: ein bisschen Wehmut schwingt mit. Man kann eben nicht durch den Biergarten schlendern, ohne innerlich kurz zurückzuflackern zu den Tagen, als der Autoscooter das Tinder der analogen Welt war. Als „Beckers Bratwurst“ keine Wurst war, sondern ein Ort der Sehnsucht. Die Kirner Kerb ist nicht mehr das, was sie einmal war – aber sie ist noch immer etwas Besonderes. Und in Zeiten von Rückzug, Absagen und „wegen Personalmangel geschlossen“ ist das vielleicht schon ein kleines Wunder. Nur halt eines, das ein bisschen mehr zurückblickt als nach vorn – und gerade deshalb seinen ganz eigenen, liebenswerten Zauber bewahrt.